Der Heilige Gral der Transplantationsmedizin 01. Dez. 2022 Das wissenschaftliche Steckenpferd von Prof. Dr. Thomas Fehr sind Nierenerkrankungen und Immunologie. In diesen Bereichen forscht er weltweit an vorderster Front. Bild (Quelle: Swisstransplant) Prof. Dr. Thomas Fehr ist Chefarzt und Ärztlicher Direktor sowie Departementsleiter der Inneren Medizin und Mitglied der Geschäftsleitung des Kantonsspitals Graubünden. Nebst der Führung seines Departementes betreibt er medizinische Spitzenforschung mit europaweiter Beachtung. Insbesondere im Bereich der Transplantationsmedizin. Wenn ein Organ ins unserem Körper nicht mehr richtig funktionieren will, kann eine Transplantation die Lösung sein. Dabei wird das entsprechende Organ durch ein Spenderorgan ersetzt. Hier nun gibt es diverse Herausforderungen. Die Suche nach Spenderorganen Erstens muss ein Spenderorgan gefunden werden. Gewisse Organe können lebend gespendet werden. In der Schweiz ist es möglich, Nieren und einen Teil der Leber von lebendspendenden Personen zu transplantieren, wie «Swisstransplant» auf seiner Website schreibt. Dabei gibt es demnach zwei Sorten der Organspende: Die gerichtete Spende, bei der sich die spendende Person bereiterklärt, einer bestimmten empfangenen Person eine Niere oder einen Teil der Leber zu spenden – meist innerhalb der Familie oder des Freundeskreises – und die altruistische Spende, bei der sich die spendende und die empfangende Person nicht kennen. Altruistische Spenden sind in der Schweiz nur bei Nieren möglich. Das Immunsystem als nächste Hürde Ist die erste Hürde der Suche nach einem Spenderorgan überwunden, kommen bereits die nächsten: Ist ein Organ transplantiert worden, wird es durch das Immunsystem des Körpers abgestossen. Das Immunsystem tut seine Aufgabe. Es erkennt einen Fremdkörper und bekämpft diesen. Ohne Immunsuppression, also ohne die medikamentöse Einschränkung des eigenen Immunsystems, würde unser Körper ein transplantiertes Organ innert weniger Tage abstossen. Deshalb sind transplantierte Patient:innen in der Regel darauf angewiesen, ein Leben lang Medikamente einzunehmen, die eine Abwehrreaktion des Immunsystems unterdrücken. Das hat seinen zusätzlichen Preis. Durch die Immunsuppression ist der Körper anfälliger für Tumorerkrankungen und Infektionen. Studie für ein Leben ohne Immunsuppression Hier nun kann das Forschungsgebiet von Prof. Dr. Fehr helfen. Er ist Mitinitiant der Schweizer Pilotstudie «Swisstolerance», die in Europa eine Methode etablieren soll, die in den letzten zwanzig Jahren in Stanford, Boston und Chicago entwickelt wurde. Die Methode soll es ermöglichen, dass transplantierte Patient:innen in Zukunft ohne Immunsuppression leben können. Ein Ziel, das in medizinwissenschaftlichen Publikationen auch als «heiliger Gral der Transplantationsmedizin» bezeichnet wird. Von der griechischen Mythologie in die moderne Medizin Die Grundidee: man schafft ein chimäres Immunsystem. Die Chimäre ist ein Wesen aus der griechischen Mythologie, das aus dem Kopf eines Löwen, dem Körper einer Ziege und dem Ende einer Schlange besteht. Ein Mischwesen also. In der Medizin bezeichnet der Chimärismus etwas, das, ähnlich wie sein mythologisches Vorbild, aus unterschiedlichen Teilen besteht und doch ein einheitliches Individuum ist. So besteht ein chimäres Immunsystem aus Immunzellen verschiedener Individuen. Umgemünzt auf die Transplantationsmedizin: Wenn man es schafft, die Immunsysteme von Spender und Empfänger zu vereinen, wird das Spenderorgan im neuen Körper vom neu-kombinierten Immunsystem nicht mehr als fremd gekennzeichnet und entsprechend auch nicht bekämpft. Dadurch müssten transplantierte Personen keine immunsuppressiven Medikamente mehr nehmen und ihr Immunsystem würde vergleichsweise normal und effektiv auf alle anderen Fremdkörper funktionieren. Wie mischt man Immunsysteme? Nun kann man zwei verschiedene Immunsysteme nicht einfach so in einem Reagenzglas miteinander vermischen. Das Immunsystem lernt, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Das geschieht im Knochenmark und im Thymus, einem Organ, das sich direkt hinter dem Brustbein befindet. Wenn man der empfangenden Person Blutstammzellen des Spenders über eine Infusion verabreicht, diese dann ins Knochenmark und später in den Thymus wandern, wo sie neue Immunzellen bilden und sich mit denen des Empfängers vermischen, kann ein chimäres Immunsystem entstehen. Wenn dem so ist, muss auf die gewöhnliche, medikamentöse Immunsuppression ausgewichen werden. Kann das Verfahren wie umschrieben angewendet werden, liegt die Erfolgsquote bei 70-80 Prozent. Damit es überhaupt funktionieren kann, müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Im Moment beschränkt sich die Möglichkeit auf Geschwister, die über sogenannte identische HLA-Antigene verfügen. Bei nicht eineiigen Geschwistern liegt die Wahrscheinlichkeit dafür bei 25 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, im weiteren Familienkreis einen HLA-identischen Spender zu finden, liegt bei etwa zehn Prozent. Spitzenmedizin in der Schweiz Prof. Dr. Fehr und das Team rund um «Swisstolerance» bewegen sich mit ihrer Forschung mit an der Spitze der internationalen Transplantationsforschung. Im November haben Fehr und seine Kollegin, Dr. med. Kerstin Hübel den klinischen Studienpreis 2022 des Transplantationszentrums Zürich erhalten. Am 54. Jährlichen Treffen der Schweizerischen Gesellschaft für Nephrologie im Dezember, dessen Präsidium Fehr dieses Jahr innehat, werden Fehr und das Team «Swisstolerance» ihre Erkenntnisse und Fortschritte mit Kolleginnen und Kollegen teilen und besprechen können und vielleicht den einen oder anderen Schritt weiter machen auf der Suche nach «dem heiligen Gral der Transplantationsmedizin».